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Frölicher, Victor (1895-1979)

Geboren 1895 in Grellingen. Gestorben am 20. August 1979. Verheiratet, Vater von fünf Kindern.
Aufgewachsen in Grellingen. Studium der Chemie mit Doktoratsabschluss. 1938 Eintritt in die J. R. Geigy AG in Basel. Im gleichen Jahr wurde F. in die Geigy-Niederlassung nach New York versetzt und nahm Wohnsitz in New Jersey. F. war zunächst Chef der dortigen textilen Hilfsstoffabteilung, später arbeitete er auch in den Bereichen Schädlingsbekämpfung und Pharmazie. Für das Unternehmen pflegte er Kontakte bis in die obersten Regierungsstellen in Washington.
1960 trat F. aus dem Berufsleben zurück und zog einige Jahre später wieder in die Schweiz. Er wohnte bis zu seinem Tod in Welschenrohr (SO).
F. war ein ausgezeichneter Organist sowie Gründer und Leiter des Chores der Sankt-Antonius-Kirche in Hawthorne (New Jersey, USA). Er engagierte sich ausserdem jahrelang als Kassier der American Swiss Society.

F. spielte bei der Einführung des Wirkstoffs DDT in den USA – und mittelbar für dessen Grosseinsatz durch die US-Armee während des Zweiten Weltkriegs – eine entscheidende Rolle.

Die J.R. Geigy AG vermarktete Anfang der 1940er Jahre bereits zwei DDT-haltige Produkte (das Pflanzenschutzmittel Gesarol und das Entlausungsmittel Neocid) u.a. in der Schweiz. Die Firma meldete das Patent für DDT im März 1941 sowohl beim deutschen wie auch beim US-Patentamt an. Die Deutschen setzten es während des Krieges als Insektizid auf dem Balkan ein. Den grössten Erfolg erfuhr der später weltweit gegen Malaria eingesetzte, dann stark umstrittene und schliesslich verbotene DDT-Wirkstoff jedoch durch seine Verwendung an den Kriegsschauplätzen der US-Armee. Diese suchte bei Kriegseintritt dringend nach einem effektiven neuen Insektizid, um die Gefährdung der Soldaten in Übersee durch Typhus und Malaria einzudämmen, insbesondere weil die Herstellung des bis dahin verwendeten Pyrethrum u.a. von Rohstofflieferungen aus Japan abhing.
Vor diesem Hintergrund erhielt F. als Forschungsleiter in New York im August 1942 100 Pfund Gesarol samt Forschungsberichten aus der Schweiz nebst einer Mitteilung, dass der amerikanische Militärattaché in Bern grosses Interesse an Neocid gezeigt habe. Er übersetzte die Forschungsergebnisse in Englische und übergab sie am 16. Oktober 1942 den Behörden in Washington. Doch die von Geigy vorgelegten Resultate erschienen zu gut, um wahr zu sein und erweckten Skepsis. Die Basler Firma schickte daraufhin 100 kg der Wirksubstanz in die USA und legte die chemische Formel offen. Doch es bedurfte vor allem der diplomatischen Überzeugungsarbeit durch F., dass die Substanz schliesslich von der «Orlando Station of the United States Departement of Agriculture» in Florida getestet und später eingesetzt wurde. F. unternahm zahlreiche Reisen nach Washington und nach Florida und soll einmal sogar selbst eine kleine Menge DDT verschluckt haben, um die damals noch unbestrittene Unschädlichkeit für den Menschen unter Beweis zu stellen.
Die Experimente der US-Behörden und der Rockefeller Foundation bestätigten die Geigy-Berichte über die phänomenale Wirksamkeit und (vordergründige) Unschädlichkeit von DDT. Die Substanz wurde daraufhin zur militärischen Geheimsache erklärt, weiter getestet (u.a. in Kriegsgefangenenlagern) und bald schon in der Seuchenbekämpfung der Armee eingesetzt (auch an der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten, z.B. bei einer Typhusepidemie in Neapel). Die Geigy-Zweigfirma «Cincinnati Norwood Ohio» übernahm die erste Massenproduktion auf US-Boden.
DDT wurde in Militärkreisen als Wunderwaffe gefeiert, mit der Malaria-, Typhus- und sogar eine Denguefieber-Epidemie unter Soldaten und befreiten Bevölkerungen bekämpft oder sogar ganz verhindert werden konnten. Die offizielle Geheimhaltung über die "Wunderwaffe" endete Ende 1943 nachdem schon einiges in Kreisen von amerikanischen Insektizidherstellern durchgesickert war. Kurz darauf wurde auch in Grossbritannien, das DDT gleich wie die USA eingesetzt hatte, öffentlich davon geredet und am 28. Sept. 1944 lobte Winston Churchill  das "excellent DDT powder" in einer Radioansprache. Der Geigy-Mitarbeiter und (Wieder)entdecker von DDT, Paul Hermann Müller, erhielt für seine Leistung 1948 den Nobelpreis.
F. bekam von dieser Ruhmesgeschichte auch seinen Teil ab. Ihm wurde für seine Vermittlungsarbeit viel Anerkennung zuteil und Reader's Digest soll ihn gar als Retter von zahlreichen Soldaten bezeichnet haben.
Bei allem Einsatz für DDT schien F. jedoch vorsichtig geblieben zu sein. In seinem Artikel «The Story of DDT» von 1944 empfahl er eine tiefgründigere Erforschung der Toxizität der schnell entwickelten DDT-Produkte, bevor diese auch im zivilen Bereich zu weiteren Einsätzen kämen.
Ab 1947 arbeitete F. nur noch für die pharmazeutische Abteilung der J.R. Geigy AG in New York, wo er weiterhin Geigy-Produkte vermittelte – diesmal an medizinische Hochschulen und Herstellerfirmen.

Autor*in der ersten Version: Kiki Lutz, 19/12/2014

Letzte Änderung: 21/12/2014

Archivbestände

Novartis Firmenarchiv, Basel (div. Zeitungsausschnitte)
http://www.archives.com (Stand: 07.11.2014)

Bibliografie

Sharon Bertsch McGrayne, Prometheans in the Lab. Chemistry and the Making of the Modern World, New York, 2001, S. 158
Frederick F. Ferguson, William M. Upholt, Samuel W. Simmons, «A Summary of the Experimental Use of DDT as a Mosquito Larvicide», in The Journal of the National Malaria Society, Vol. 8. 1949, abgerufen auf: https://archive.org/stream/journalofnationa81nati/journalofnationa81nati_djvu.txt (Stand: 12.11.2014)
Victor Frölicher, «The Story of DDT», in Soap and Sanitary Chemicals, Vol. 20, Juli 1944, S. 115-119, 145
David Kinkela, DDT and the American Century, Chapel Hill, 2011, S.  16-18, S. 33
Darwin H. Stapleton, «The Short-lived Miracle of Ddt», in Invention and Technology, Vol. 15, Issue 3, Winter 2000, abgerufen auf: www.innovationgateway.org (Stand: 07.11.2014)
Darwin H. Stapleton, «A Lost Chapter in the Early History of DDT: The Development of Anti-Typhus Technologies by the Rockefeller Foundation's Louse Laboratory, 1942-1944», in Technology and Culture, Vol. 46, Nr. 3, Juli 2005, S. 513-540, bes. S. 4
Lukas Straumann, Nützliche Schädlinge. Angewandte Entomologie, chemische Industrie und Landwirtschafttspolitik in der Schweiz 1874-1952, Zürich 2005, S. 245ff
Flavian Zeugin, «Laufentaler in der Fremde», in Laufentaler Jahrbuch Nr. 11, 1996, S. 98-105

Zitiervorschlag

Kiki Lutz, «Frölicher, Victor (1895-1979)», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://diju.ch/d/notices/detail/1003440-frolicher-victor-1895-1979, Stand: 20/04/2024.

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