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Boillat SA

1855 gründeten Guillaume-Olivier Bueche (Grundbesitzer aus Pontenet), Emmanuel-Aimé Tièche (Arzt aus Reconvilier), Edouard Boillat (Kaufmann aus Reconvilier) und Ernest Kraft (Hotelier in Malleray) die erste Messinggiesserei der Schweiz am Standort Reconvilier. Die Fabrik mit Namen «Bueche, Boillat et Cie» belieferte eine 1851 gegründete Uhrenfabrik.


1875 wurden Eduard Boillat und Eugène Bueche nach einem Übereinkommen alleinige Besitzer der Fabrik.

1880 übernahm Louis-Paul Droz, Bankangestellter aus La Chaux-de-Fonds, die kaufmännische Leitung der «Bueche, Boillat et Cie» (Messinggiesserei und Uhrenfabrik). Nach dem Tod von Edouard Bueche wechselte 1887 die Firmenbezeichnung in «Fonderie de laiton Boillat et Bueche» (Messinggiesserei Boillat und Bueche). Als Edouard Boillat, Sohn, 1895 die Geschäfte übernahm, änderte sich der Name in «Ed. Boillat et Cie», Kommanditgesellschaft. Kommanditär war Eugène Bueche.

Ende des 19. Jh. bewirkten technische Neuerungen einen markanten Anstieg der Produktion. 1903 überstieg der monatliche Ausstoss zum ersten Mal 100 Tonnen (105 Tonnen im Oktober desselben Jahres). Zum Vergleich: 1885 lag er noch bei 22 Tonnen.


Anfang des 20. Jh. spezialisierte die B. ihre Produktion immer mehr auf Produkte kleineren und mittleren Ausmasses. 1905 wurde Edouard Boillat alleiniger Besitzer der Uhrenfabrik und der Messinggiesserei, die nun «Ed. Boillat» hiess. 1917 trat er von allen Geschäften zurück und entschied sich, da er keinen Sohn hatte, das Unternehmen an eine Firmengruppe zu verkaufen. Die Gruppe bestand aus einer Rohwerkfabrik in Fontainemelon, der Nähmaschinenfabrik Dubied und der Herstellerin von elektrischen Geräten, Gardy. Die Firmenbezeichnung wurde in «Fonderie Boillat SA» umgewandelt. Verwaltungsratspräsident wurde Georges Gardy, Delegierter des Verwaltungsrates Louis-Paul Droz.


1944 folgte Ernest Gretler als Generaldirektor auf Werner Brandt, der von 1930 bis 1944 in dieser Position tätig gewesen war. Gretler starb allerdings schon wenige Monate später und wurde durch Edouard Günther ersetzt, der die Geschäfte dann 8 Jahre lang führte.

1960 erhielt die B. ihren neuen Firmennamen «Boillat SA».

Bis in die 1970er Jahre spielte die Uhrenindustrie als Abnehmerin eine bedeutende Rolle. Danach wuchs der Absatzmarkt im Bereich Elektronik (Telekommunikation, Informatik etc.) stark. Die Produktion von Schreibfederspitzen wurde schon nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhöhte sich der Exportanteil an der Produktion stetig. In den 1950er Jahren betraf dies vor allem Europa, in den 1970ern die USA und ab den 1990ern die Märkte in Asien. Neben dem Messing produziert die Firma seit den 1950er Jahren auch andere Legierungen, so wie leichtlegiertes Kupfer, Neusilber und Bronze.


1986 entstand die Firmengruppe Usines Métallurgiques Suisses Holding SA (UMS), zu der die Fabriken in Reconvilier, Dornach und in der Selve in Thun gehörten. 1989 fusionierten diese Unternehmen unter der Ägide von Werner K. Rey (Besitzer der Fabrik in der Selve) zur Swissmetal und verloren ihre rechtliche Eigenständigkeit. Die Produktion wurde unter den drei Herstellungsorten neu aufgeteilt. Dabei spezialisierte sich die B. auf gestanzte und gewalzte Produkte mittlerer und kleiner Grösse. Hauptaktionäre der Swissmetal waren damals die SACT Cossonay Holding SA, die ACMV Vevey Holding SA und der Schweizerische Bankverein. Nach der Gründung der SWX Swiss Exchange 1996, wurde das Aktienkapital der UMS Holding neu verteilt. Hauptaktionäre wurden nun der Schweizerische Bankverein (später UBS), die Arlington Capital Management Ltd. (GB) und die Alcatel (Nachfolgerin der SACT Cossonay Holding SA). Alcatel wurde später durch die Relag AG und OZ Bankers ersetzt.


Noch im Jahr 1990 kaufte die Gruppe die deutsche Firma Busch-Jaeger Luedenschneider Metallwerk GmbH. Bereits ein Jahr später musste der Standort in der Selve wegen finanzieller Probleme schliessen. Die Ursache lag im Konkurs der Omni Holding von Werner K. Rey, der einen Schuldenberg von mehreren Milliarden CHF hinterliess. Die Produktion des geschlossenen Standorts wurde in der Folge auf den Standort Dornach und die B. verteilt. Doch die Situation der Swissmetal besserte sich kaum. 2002 verloren 200 Angestellte aller drei Standorte ihre Jobs. Die Busch-Jaeger Fabrik meldete Anfang 2003 Konkurs an.

In der Folge unterzog sich die Swissmetal einem rigorosen Restrukturierungsprogramm mit dem Ziel, die Situation der Gruppe zu sichern. Es wurden Massnahmen der Zentralisierung und Zusammenlegungen durchgeführt: Refinanzierung, Neustrukturierung der operativen Ebene, Einführung eines einheitlichen SAP-Systems, Zusammenführung der Leitungsfunktionen, Konzentration der Verkaufsstelle auf den Standort Olten, Abschaffung der firmeneigenen Sanitätsstelle, Streichung verschiedener Hilfsprogramme. Diese Reformen wurden in Reconvilier mit Skepsis aufgenommen. Die B. fürchtete um ihre Unabhängigkeit innerhalb der Gruppe. 2004 führte dann die Entlassung des Direktors André Willemin endgültig zum Eklat und damit zum ersten Streik in der Fabrik von Reconvilier. Er dauerte vom 16. bis zum 25. November 2004.


Bereits im Laufe des nächsten Jahres kam es zu neuen Protesten in Reconvilier. Ein neuer Investitionsplan, die Absicht, die Giesserei nach Dornach zu verlegen und die Ernennung von Henri Bols zum Direktor der beiden Standorte Dornach und Reconvilier – was dem Übereinkommen vom 25. November 2004 widersprach – gossen neues Öl ins Feuer. Im November 2005 stellten sich Interessensvertreter/innen aus der Region, Lokalpolitiker/innen und die Gewerkschaft UNIA sowie ehemalige Kader der Fabrik B. gegen die Strategie der Zusammenlegungen innerhalb der Swissmetal. Nachdem die Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt hatten und dann auch noch die geplante Entlassung von 14 Mitarbeitern/-innen in Reconvilier bekannt wurde, kam es am 25. Januar 2006 erneut zum Streik. Diesmal dauerte er bis zum 23. Februar 2006. Trotz Vermittlungsversuchen seitens des Vorstehers des Volkwirtschaftsdepartements, Bundesrat Joseph Deiss, und der Ernennung von Rolf Bloch zum Mediator am 9. Februar 2006 (am selben Tag kündigte Swissmetal den Rückkauf der Firma Busch-Jaeger an), kam es zu keiner Lösung des Konfliktes. Am 23. Februar 2006 sahen sich die Arbeiter/innen gezwungen, für ein Ende der Arbeitsniederlegung zu stimmen. Wenig später, am 27. Februar 2006, wurden Verhandlungen zwischen den Arbeitnehmern/-innen, der UNIA und der Swissmetal aufgenommen. Die Wiederaufnahme der Arbeit konnte trotzdem erst am 2. März 2006 erfolgen, und zwar unter erschwerten Bedingungen. Unter anderem war die Sicherheit nicht gewährleistet, einige Maschinen fielen aus und das Informatiksystem war blockiert.


In der Folge wurde nichts unternommen, um die Wiederaufnahme einer normalen Produktion in Reconvilier zu ermöglichen. Es gab nicht genug Rohmaterial, einige Produktionsschritte wurden nach Dornach verlegt und das ISO-Zertifikat wurde erst im März 2007 mit sechs Monaten Verspätung erneuert. Im Juni 2006 strich Swissmetal 81 Stellen mit der Begründung, durch den Streik finanzielle Verluste erlitten zu haben.

Die Verhandlungen wurden fortgesetzt, doch Swissmetal weigerte sich, die Fabrik in Reconvilier zu verkaufen.


Die Solidaritätswelle zugunsten der Arbeiter/innen von B. war für Schweizer Verhältnisse beispiellos. Die Streikkasse der UNIA Transjurane und der Solidaritätsfonds der Gemeinde Reconvilier sammelten mehr als 1 Mio. CHF. Die Angestellten genossen zudem breite Unterstützung in der Bevölkerung, es wurden täglich Kundgebungen abgehalten – die grösste davon mit 10'000 Teilnehmern/-innen im Februar 2006 –, in der Fabrik wurden von den Geschäften des Dorfes Mahlzeiten angeboten, usw. Auch das Internet spielte bei der Unterstützung der Boillat-Angestellten eine wichtige Rolle. Es wurden 2 Protest-Sites eingerichtet: der Blog von Karl «Une voix pour la Boillat» (www.laboillat.blogspot.com), der 2006 die «Goldene Maus» in der Kategorie Politik erhielt, und «Boillat vivra!» (www.boillat.org). 2006 erhielten die Streikenden den Kulturpreis der Société jurassienne d'Emulation (SJE).


Ende 2007 wurden die beiden Metallpressen in Reconvilier stillgelegt und 2008 eine neue Strangpresse in Dornach in Betrieb genommen.

Am 21. Januar 2008 gab das Unternehmen die Ernennung von Natanael Dewobroto als neuen Direktor des Standorts Reconvilier bekannt. In den vier turbulenten vorangehenden Jahren hatte es mehrere Direktoren gegeben: Albert Gaide, Patrick Rebstein und Henri Bols.

Im Mai 2008 gab Swissmetal für das erste Trimester desselben Jahres einen Umsatzrückgang von 21% bekannt.

Autor*in der ersten Version: Emma Chatelain, 23/02/2017

Übersetzung: Kiki Lutz, 23/02/2017

Bibliografie

Henri-Louis Favre und Alice Heinzelmann, Fonderie Boillat SA, 1855-1955, Reconvilier, 1955

Alain Cortat, « Les fabricants de câbles helvétiques et les cartes suisses et internationaux : du contrôle des marchés à la gestion de l’innovation », in Les systèmes productifs dans l’Arc jurassien, Presses Universitaires de Franche-Comté, 2004, S. 86-105

Pierre Noverraz (Hg.), Quand « la Boillat » était en grève, 2005

Patrick Rérat, « Une grève sur la Toile », EspacesTemps.net, Mensuelles, 18.03.2007 http://espacestemps.net/document2201.html http://jb.zonez.ch/ (7.5.2008)

www.swissmetal.com/fr.html (7.5.2008)

www.laboillat.blogspot.com/ (27.5.2008)

Zitiervorschlag

Emma Chatelain, «Boillat SA», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://diju.ch/d/notices/detail/6122-boillat-sa, Stand: 23/04/2024.

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