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Grellinger Milchkrieg

In den 1930er Jahren eskalierte in Grellingen ein Wirtschaftskonflikt um den lokalen Absatzmarkt von Milch. Der sogenannte «Milchkrieg» löste eine Reihe teilweise belustigter Medienberichte aus und liess den Bundesrat sowie Grossaufgebote der Polizei in Aktion treten.

Der Landwirt Alfred Tschumi, seit 1927 Pächter des «Eigenhofs» auf dem Gemeindegebiet von Seewen (SO), stellte eines Tages seine Milchlieferungen an die Sammelstelle des Nordwestschweizer Milchverbands in Seewen ein. Stattdessen verkaufte er seine Milch fortan direkt und unabhängig an die Kundschaft in Grellingen. Dabei kam es zu Unterschreitungen der Verkaufspreise, welche die dortige Milchgenossenschaft mit Anschluss an den Milchverband anbot. Tschumi handelte sich durch sein Verhalten einen Prozess ein, was ihn jedoch nicht von weiteren Direktverkäufen seiner Milch an die Grellinger Kundschaft abhielt.
Im Juli 1934 erklärte das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement die Direktverkäufe für unzulässig und forderte den Landwirt auf, der Grellinger Milchgenossenschaft beizutreten.Nach einem Einspruch der Gemeinde Seewen, einer extra einberufenen Gemeindeversammlung sowie weiteren Einsprachen des Nordwestschweizer Milchverbands und des Pächters Tschumi landete die Angelegenheit als Geschäft auf der Tagesordnung des Gesamtbundesrats. Dieser bestätigte die Verfügung des Departements, wonach sich Tschumi (nebst fünf weiteren Grellinger Direktverkäufern) der Grellinger Milchgenossenschaft anzuschliessen habe. Die Genossenschaft wurde verpflichtet, dem Landwirt täglich 160 Liter Milch abzunehmen. Ziel der bundesrätlichen Verbandspolitik war die Eindämmung der damaligen Milchschwemme.
Auf diesen Bericht hin spitzte sich die Lage noch mehr zu: Im Februar 1935 gründete Grossbauer Tschumi zusammen mit Einwohnern von Grellingen eine zweite Milchgenossenschaft, die mit gegen 75 Genossenschaftern deutlich grösser war als die erste – ohne jedoch dem Milchverband beizutreten. Jetzt schickten die Berner Behörden zwecks Durchsetzung des bundesrätlichen Beschlusses ein grosses Polizeiaufgebot nach Grellingen, das die illegale Milch beschlagnahmen sollte. Das aber klappte nicht, weil der Eigenhof auf Solothurner Gebiet lag und die Polizisten offenbar jedesmal ausgetrickst wurden, wenn eine Milchlieferung die Kantonsgrenze passierte. Nun wurde auch die Solothurner Kantonspolizei mit einem Grossaufgebot eingeschaltet. Sie besetzte den Hof und passte auf, dass keine Milch aus dem Haus geschmuggelt wurde. Dies wiederum wollten sich die Grellinger Milchkonsumenten nicht bieten lassen. Laut Zeitunsberichten belagerten sie bewaffnet mit Milchgefässen, Stecken und Stöcken am Abend des 21. August 1935 den polizeilich bewachten Hof. Die Stimmung war geladen und ein Handgemenge mit den Solothurner Polizisten konnte offenbar nur knapp vermieden werden, als unter Johlen und Pfeifen die beschlagnahmte Milch an die Berner Polizei ausgehändigt wurde, zur Ablieferung bei der verbandstreuen Genossenschaft in Grellingen. Dort musste am Abend ein Kordon von Berner Polizisten das offizielle «Milchhüsli» vor den aufgebrachten Bewohnern schützen. Tschumi und sein Sohn schickten noch am selben Tag, wohl aus Protest, ihre Militäreffekten in einem Kartoffelsack an Bundesrat Minger (Vorsteher des Militärdepartements). Doch schliesslich mussten sie sich der Macht beugen und ihre Milch fortan exklusiv bei der offiziellen Abnahmestelle in Grellingen abliefern.

Autor*in der ersten Version: Kiki Lutz, 22/10/2012

Bibliografie

National-Zeitung Basel, 22. August 1935
Adrian Schmidlin, «Milchkrieg in Grellingen», in Heimatkunde Grellingen, Grellingen 1999, S. 93-94
Adrian Schmidlin, «Vom wirtschaftlichen Aufschwung zum Milchkrieg», Laufentaler Jahrbuch Nr. 27, 2012, S. 50-55

Zitiervorschlag

Kiki Lutz, «Grellinger Milchkrieg», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://diju.ch/d/notices/detail/1000513-grellinger-milchkrieg, Stand: 09/09/2024.

Kategorie

Wirtschaft
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