1993 leitete die Veröffentlichung der Berichte Widmer und Haenni neues Wasser auf die Mühlen all jener, die glaubten, dass sich die politische Situation im Berner Jura nicht entwirren liesse, ohne dass der Region ein neuer Status mit echten Rechten zur Entscheidungsfindung eingeräumt würde. Die am 6. Juni 1993 angenommene neue Verfassung des Kantons Bern beinhaltete ein Sonderstatut für den Berner Jura. In den Jahren vor der Gründung des Groupe Avenir wurde der allgemeine Dialog wiederbelebt, wozu insbesondere die Gründung der Interjurassischen Versammlung IJV gemäss der Vereinbarung vom 25. März 1994 beitrug. Die Entstehung des Groupe Avenir geschah also keineswegs aus heiterem Himmel.
Im Juli 1997 trafen sich Jean-Michel Blanchard, Jean-Jacques Schumacher und Claude-Alain Voiblet, um die Situation im Berner Jura zu erörtern. Bald wurden weitere Treffen mit einer wachsenden Anzahl von Teilnehmern/-innen einberufen. In diesen Gesprächen schälte sich klar eine Gruppe heraus, welche die Möglichkeiten ausloten wollte, die dem Berner Jura im Rahmen der neuen Kantonsverfassung offenstanden.
Diese Vorgehensweise war jedoch absolut neu für den Berner Jura. Erstmals vereinigten sich Personen unterschiedlichster politischer Couleur in einer gemeinsamen Bewegung mit dem Ziel, herauszufinden, was die neue Berner Verfassung der Region an politischen Möglichkeiten zu bieten hatte. Was zunächst als banal erscheinen mochte, sorgte für einigen Wirbel, insbesondere seitens der antiseparatistischen Force démocratique FD.
Der Groupe Avenir organisierte zahlreiche öffentliche Versammlungen, die sich eines dauerhaften und wachsenden Erfolgs erfreuten. Am 4. Februar 1998 erklärte die Gruppe anlässlich einer Pressekonferenz ihre Ziele und geplante Vorgehensweise: «Der Groupe Avenir bietet eine Diskussionsplattform für Personen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen, die jedoch alle ein Ziel verfolgen: die Schaffung einer einzigartigen, regionalen Institution voranzutreiben, welche die Befugnisse des Berner Jura im Rahmen der Berner Kantonsverfassung wahrnehmen kann.» [Übers. Red. DIJU].
Am 2. April 1998 organisierte der Groupe Avenir anlässlich der Kampagne vor den kantonalen Wahlen eine öffentliche Debatte. Rund 200 Personen besuchten die Veranstaltung, welche allen politischen Parteien – ausser der Sozialistischen Partei (Parti socialiste PSJB) – die Gelegenheit bot, ihre Kandidaten vorzustellen. Am 15. April 1998 wurde eine zwanzigköpfige Delegation des Groupe Avenir von der Juradelegation des Regierungsrates JDR in Bern empfangen. Das Treffen wurde von beiden Seiten positiv bewertet.
Am 6. Dezember 1998 forderte Jean-Pierre Graber an einer vom Mouvement autonomiste jurassien MAJ organisierten Debatte in Sonceboz die Schaffung eines Regionalparlaments.
Erst am 17. Februar 1999 organisierte sich die Bewegung als Verein. Der Vorstand wurde wie folgt besetzt: Claude-Alain Voiblet (Präsident), Jean-Pierre Aellen und Walter Von Kaenel (Kopräsidenten), Jean-Jacques Schumacher (Generalsekretär). Ausserdem wurden Kommissionen gebildet, von denen zwei besonders aktiv waren: Die Rechtskommission (Commission juridique) unter Präsident Stéphane Boillat und die Kommission für Aussenbeziehungen (Relations extérieures) präsidiert von Jacques Hirt.
Die öffentlichen Debatten wurden fortgesetzt bis zur Veröffentlichung der Gesetzesvorlage «Vers une autonomie du Jura bernois...» (In Richtung Autonomie des Berner Jura...), die von 26 Persönlichkeiten aus dem Berner Jura unterzeichnet wurde (s. Seite 2).
Nachdem er die 63-seitige Vorlage eingereicht und an einer Pressekonferenz vom 13. April 2000 vorgestellt hatte, zog sich der Groupe Avenir zurück – in der Überzeugung, dass die unmittelbar folgenden politischen Arbeiten den vom Volk des Berner Jura offiziell gewählten Politikern/-innen übertragen werden müssten. Ein Vergleich mit den Stellungnahmen der politischen Parteien, die im Bericht enthalten waren, zeigte eine breite Übereinstimmung.
Doch nach der Veröffentlichung der Vorlage bedauerten viele den Rückzug des Groupe Avenir von der politischen Bühne. Das Bedauern verstärkte sich umso mehr, zumal sich der Inhalt des Sonderstatus, das dem Berner Jura zugestanden wurde, als sehr bescheiden herausstellte.
Ein erweiterter Vorstand des Groupe Avenir fährt denn auch fort, sich dreimal im Jahr zu treffen. Dabei wird die Gesamtheit aller politischen Instrumente des Berner Jura erörtert und in informellen Gesprächen die politische Situation in der Region analysiert. Das Generalsekretariat dieses erweiterten Vorstands wird von Walter Von Kaenel geführt.
Unterzeichner/innen der Gesetzesvorlage «Vers une autonomie du Jura bernois... »:
Aellen Jean-Pierre
Blanchard Jean-Michel
Boillat François
Boillat Stéphane
Brugger Claude
Crevoisier Jean-Claude
Droz Hubert
Flotron Pascal
Frainier Hubert
Gossin André
Graber Jean-Pierre
Hirschi Torti Mariella
Hirt Jacques
Mercerat André
Montandon Pierre
Munier Danielle
Ribeaud Raoul
Roethlisberger Claude
Rüfenacht Marguerite
Schumacher Caroline
Schumacher Jean-Jacques
Sonderegger Paul
Voiblet Claude-Alain
Von Kaenel Walter
Widmer Jean-Pierre
Widmer Joël
Autor*in der ersten Version: Jean-Jacques Schumacher, 09/10/2013
Übersetzung: Kiki Lutz, 11/11/2013
Bibliografie
Groupe Avenir, Vers une autonomie du Jura bernois..., April 2000
Jean-Jacques Schumacher und Caroline Schumacher, L’Assemblée interjurassienne': histoire et perspectives'... 1985-2004, Pruntrut, Société jurassienne d’Emulation, 2005, S. 191
Zitiervorschlag
Jean-Jacques Schumacher, «Groupe Avenir», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://diju.ch/d/notices/detail/5983-groupe-avenir, Stand: 12/10/2024.